Da ist zunächst dieser plötzliche zerstörerische
Bombenabwurf eines englischen
Einzelfliegers auf den Gutshof Westerwinter,
aus heiterem Nachthimmel, am 2. Juni 1940,
nur ca. 100 m vom Kronshageschen Bauernhof entfernt
bei dem eine fast gleichaltrige Nachbarin zu
Tode kommt.
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Inwieweit dieser Schreck in der Nacht und
die tödlichen und zerstörerischen Folgen
sogar ein Trauma ausgelöst haben, das Erna
als innere Belastungsstörung noch weiterhin
zugesetzt hat - wir wissen es nicht.
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Und Erna ist natürlich auch in bleibender
Sorge um ihre Brüder, die ja an der Front
Soldaten sind.
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Da ist das immer stärker werdende innere
pubertäre Hin- und Her-Gerissen-Sein
zwischen den Ablösewünschen
hin zur Selbstständigkeit, bei sicherlich
gleichzeitiger Wertschätzung
des „Hotels Mama“, wie wir heute sagen.
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Hinzu kommt wahrscheinlich auch die
kräftemäßige Überforderung Erna‘s in der
Landwirtschaft bei gleichzeitiger
intellektueller Unterforderung. Denn Erna
war ja eine
gute Schülerin und wollte Abwechslungen
und "Leben".
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Erna bewirtschaftet mit den Eltern ab Kriegsbeginn
1939 den Hof größtenteils allein,
nur mit sporadischen vereinzelten
Hilfen aus der Nachbarschaft und dem
weiteren Familienkreis.
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Aber da ist jetzt auch dieser neue stringent
verpflichtende Dienst nun in einem
„kriegswichtigen Betrieb“ zur
"Aufrechterhaltung der Versorgung des Deutschen Volkes“
der auch entsprechend kontrolliert wird.
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Und es ergibt sich für Erna -
großgeworden in
einer Großfamilie - die allmähliche innere und
äußerliche Vereinsamung: die älteren
Geschwister sind aus dem Haus: die
Schwestern leben nach und nach im eigenen
Hausstand und die Brüder sind nun Soldaten.
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Es fehlt auch wegen dem Krieg keine
angemessene altersmäßige Freundesclique.
Ihre kränklichen Eltern sind ja bereits 43 und 46
Jahre älter …
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Heute würde man ihre Kurzschluss-
handlungen wohl eine
„Burn out“-Situation nennen,
eine Nullbock Phase , eine
„natürliche“ altersgemäße Aufmüpfigkeit .
Damals gibt es jedoch
keinen „Gelben Schein“ für eine sich so
zusammenbrauende Arbeitsunfähigkeit, sondern ihre
offensichtliche „Pflichtdienst-Verweigerung“ in
der staatlich gelenkten Landwirtschaft ist im
Krieg meldepflichtig bei der „Volkspflegerin“ der
NS Volkswohlfahrt, einer „Braunen Schwester".
Erna wird zur Abklärung ihrer plötzlichen
Verweigerungshaltung von dieser
NSV Ortsfürsorgerin zur Untersuchung beim
Amtsärztlichen Dienst in Brackwede geschickt.
Hier bittet Erna den Amtsarzt jetzt selbst um
eine Auszeit und Wiederherstellungsphase ihrer
Dienstfähigkeit und möchte wohl dazu in die
Provinzialheilanstalt Gütersloh eingewiesen
werden.
Denn Erna‘s ältere Schwester Frieda ist dort
1939 nach einem akuten „Erregungszustand am
Arbeitsplatz“ nach 4 wöchigem Aufenthalt
vollständig genesen und wiederhergestellt
worden.
Genauso wünscht sich das Erna auch für
sich und provoziert deshalb gegen den Willen
der auf ihre Mitarbeit angewiesenen und immer
noch sorgeberechtigten Eltern am 24. Oktober
42 gemeinsam mit der NSV Fürsorgerin die
polizeiliche Einweisung in die Anstalt Gütersloh.
WELT:
Also letztlich „krank durch Kriegsbilder“, ist das nicht etwas übertrieben?
Urner:
Ganz und gar nicht. Stress, wie er unter anderem durch Informations- und Reizüberflutung ausgelöst wird, ist eine der Hauptursachen für viele chronische Krankheiten.
Dabei hilft es zu verstehen, dass jede sogenannte psychische Krankheit immer auch eine physische Grundlage hat, also körperlich ist.
Neurobiologische und andere organische Veränderungen stehen in enger Wechselwirkung – das ist mittlerweile sehr gut untersucht.
Quelle: click
Der amerikanische Psychiater Bessel van der Kolk ist Jahrgang 1943 und seit Jahrzehnten einer der renommiertesten Traumatherapeuten. Wie die meisten seiner Kollegen ging er zu Beginn seiner Karriere davon aus, dass vor allem Kriegsveteranen traumatisiert sind, in den Siebzigern entstand dafür die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung. Van der Kolks Verdienst war es, den Blick auf diese Erkrankung auszuweiten und zu erkennen, dass auch viele Menschen, die in ihrer Kindheit Missbrauch und Gewalt erfahren haben, betroffen sind. Sein 2014 veröffentlichtes Buch „Das Trauma in dir“ stand direkt nach Erscheinen in den Bestsellerlisten – und tauchte während der Corona-Pandemie erneut dort auf. Nun ist es als Taschenbuch bei Ullstein erschienen.
click zu einem SPIEGEL-Psychologie-Artikel von heute über eine notwendige "Selbst-Therapie" zum "Burn-out-Syndrom". Erna Kronshage hatte diese "modernen" Ratschläge noch nicht - und hat trotzdem eigenständig versucht, sich mit der "Selbsteinweisung" in eine "Heil"anstalt zu "therapieren". Aber sie war anscheinend in ihren Überlegungen ihrer Zeit voraus - denn dadurch geriet sie unweigerlich auf die schiefe Ebene der damaligen NS-Psychiatrie und der NS-Verordnungen, auf der es dann irgendwann keinen Halt mehr geben konnte ...
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