Bescheidwissen.
Bescheidwissen.
Wir sollten die Erinnerungskultur hin zum"Recht auf Bescheidwissen" weiterentwickeln:
Insbesondere die jüngere Generation in Deutschland, gleichgültig ob einheimisch oder zugewandert, hat das Recht, Bescheid darüber zu wissen, was in diesem Land passiert ist und welche Vernichtungsdynamik von ihm ausging. Dies ist eine grundlegende Voraussetzung dafür, sich in unserer Gesellschaft erfolgreich bewegen zu können.
Felix Klein
Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus
NS-Eugenik.
NS-Psychiatrie.
Zwangssterilisation.
NS-Euthanasie.
EDWARD WIEAND WEBSITE · @ WWW.EDDYWIEAND-SINEDI.DE · IN MEMORIAM ERNA KRONSHAGE · SINEDI.@RT
INTRO
ERNA KRONSHAGE
Im Andenken an Hunderttausende, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten - konzentrieren sich die Inhalte und Verlinkungen dieser Seiten auf die Ereigniskette um meine Tante Erna Kronshage (1922-1944), die ab Oktober 1942 innerhalb von 484 Tagen - Schlag-auf-Schlag - eingeliefert, schocktherapiert, zwangssterilisiert, interniert, depor- tiert - und schlussendlich in einer Tötungsanstalt im Zuge der NS-Euthanasie im Februar 1944 ermordet wird.
ERNA KRONSHAGE MEDIATHEK
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Für mich als genuiner Alt-68er war es sicherlich zunächst einmal eine notwendige politische Konsequenz gegenüber der Eltern-generation, um dieses Verschweigen und Vertuschen zu durch-brechen und diese Morde und Zwangssterilisationen, wie es hieß, im Herzen des Volkes, unter Beteiligung vieler Helfer und Helfershelfer auch endlich angemessen zur Sprache zu bringen. Heutzutage ist es mir wichtig, das Einzelschicksal meiner Tante bekanntzumachen, denn es steht ja für insgesamt ungeheuerliche ca. 450.000 unfreiwillige ‚Unfruchtbarmachungen‘, wie die Zwangssterilisationen ja genannt wurden, und ca. 300.000 Kran-
kenmorde durch Giftinjektionen, in Gaskammern, mit schleichen-den Vergiftungen durch genau ausgeklügelte leichte Über-dosierungen von Barbituraten und durch die gezielte gleichzeitige Gabe von fettloser Kost und Verhungernlassen. E.W.
Der Umgang mit "Euthanasie" und Zwangssterilisation in den betroffenen Familien ist teilweise bis heute geprägt von Unsicherheit (Ist die Krankheit erblich?), von Scham (Leben mit dem Stigma der "erblichen Minderwertigkeit") und Schuld (Warum haben wir unsere Angehörigen nicht geschützt? Warum haben wir geschwiegen?). Ich halte es nicht nur im Interesse der betroffenen Familien sondern in dem unserer gesamten Gesellschaft für äußerst wichtig, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es geht uns alle an, denn eigentlich gibt es doch in jeder Familie Mitglieder, die auf die eine oder andere Art und Weise gesundheitliche Schwächen haben oder nicht der Norm entsprechen. Eine Krankheit - ob angeboren oder erworben - ist weder ein Grund zur Scham noch zum Verschweigen. Im Gegenteil - wenn wir viele Geschichten wie die von Anna erzählen, bekämpfen wir damit nicht nur die Diskriminierung der Opfer, sondern setzen zugleich ein Signal gegen die Stigmatisierung und Ausgrenzung derjenigen, die heute von Behinderungen oder psychischen Erkrankungen betroffen sind..
Der nebenstehende Titel von 2017 beschäftigt sich in seinen Abschnitten in Teil II explizit mit den Zuständen
in der Anstalt "Tiegenhof"/Dziekanka besonders auch in den letzten Kriegsjahren.
Die z.T. reproduziert und abgedruckten, kommentierten Briefe vom Patienten Heinrich Wulf, der mit Erna Kronshage im gleichen Transport am 12.11.1943 aus Gütersloh nach "Tiegenhof" deportiert wurde, geben unverblümt Einblick in die dortige Situation - umd wenn auch die Briefe zensiert wurden und "geschönt" werden mussten, was Wulf auch offen nach Hause formuliert.
Heinrich Wulf überlebte die Tötungsanstalt - und sein Enkel Godehard Wulf konnte den lange verschwiegenen Opa und seinen Aufenthalt dort und seine Biografie anhand der hinterlassenen Briefe und Urkunden rekonstruieren.
Im Anhang dieses Sammelbandes werden die Opferzahlen im Tiegenhof beleuchtet - und es wird auf Aufzeichnungen verwiesen zu Sterbelisten, die ein unbekannter Patient oder Mitarbeiter hinterlassen hat, so dass damit noch manch blinde Opferbiografieflecken Farbe bekommen könnten.
Die 300.000 Euthanasie-Morde waren keine Einzeltaten - sondern "aus der Mitte des Volkes" bedurfte es dazu Hunderttausender Mittäter und Helfer und Hlfershelfer ... Und wenn die Denkmal-Architektin ihrer Absicht Ausdruck verleiht: "Wir wollten immer beides, nämlich die Täter- und die Opferseite zum Ausdruck bringen" ... - dann stellt sich bei dieser Glaswand eben die Frage: Auf welcher dieser alternativ polarisierenden Seiten stehe ich gerade: Bin ich Opfer - bin ich Täter - wer beurteilt das - wer bewertet das ... - oder wechselt meine imaginäre Rolle andauernd - auch je nach Selbst- oder Fremdeinschätzung: eben noch Opfer - jetzt Täter - und umgekehrt???
Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele.
Und das andere, das einzig zählt – das unsentimentale, aber
schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus.
Stefan Zweig 2011
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