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"Blues" - die Symbolzeichen der "Blauen Wand" zum Gedenken an die "Euthanasie"-Opfer - eine Assoziation

Das Bild vom T4-Erinnerungsort ist eine Kopie von einem größeren Aquarell, das meine Tochter Janna für mich gemalt hat. Sieh es an als Symbol für unsere gemeinsame Erinnerungsarbeit. Herzliche Grüße, Sigrid Falkenstein

Im Tagesschau-Beitrag vom 02.09.2014 (siehe oben) - wurde damals aufgrund der Einweihung zur Symbolik der "Blauen Transparent-Wand" schon einiges ausgeführt:

 

... sie solle die "Trennung darstellen zwischen 'wertem' und 'unwertem' Leben" - eben wie bei Erna Kronshage: zwischen brauchbarer oder ungenügender wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung - ein Kriterium, womit in der NS-Zeit maßgeblich die Menschen unterschieden und eingeteilt wurden - und sicherlich hier und da in manchen Köpfen immer noch werden... (siehe dazu auch die gesamte "Inklusions"-Debatte...).

 

Ich bin diesem Aspekt dann weiter nachgegangen - und habe mich in die Qualitätsaspekte und die Aussagekraft eines "Blauen Glases" hineingedacht: Bei dieser Wand ist ja wohl die Frage immer im jeweiligen Moment: Wer steht auf welcher Seite ... :

 

Wer ist "Topdog" - wer ist "Underdog" (Link) - wer ist "wert" - wer ist "un-wert" - und da ich "drüben" - auf der anderen Seite - ja auch Personensilhouetten und Schatten "wie Du und Ich" hindurchscheinen sehe und wahrnehme - bleibt diese Wertung somit "gleichberechtigt" und letztlich damit "unentscheidbar": 

 

Fritze Perls - der olle "Gestalt"-Papa - sagt in seinem sogenannten "Gestalt-Gebet" zu solch einer Dialog- und Bewertungsform in der Begegnung auf Distanz mit dem "Anderen" - dem "Anderssein" - "mit der anderen Seite" - oder auch - mit der anderen Seite des eigenen Ichs (was C.G. Jung wohl den persönlichen "Schatten" (Link) des Unbewussten nennt - der  entweder integriert wird oder ab-gespalten und verdrängt gelebt wird ...):

 
"Ich lebe mein Leben - und du lebst dein Leben.
 Ich bin nicht auf dieser Welt, um deinen Erwartungen zu  entsprechen –
 und du bist nicht auf dieser Welt, um meinen Erwartungen zu  entsprechen.
 ICH BIN ich und DU BIST du –
 und wenn wir uns zufällig treffen und finden, dann ist das schön,
 wenn nicht, dann ist auch das gut so"...


Mit diesem inneren Wert-Grundsatz wird das eigene Ich und Selbstbewusstsein gestärkt und in seinem/ihrem Sosein akzeptiert - und dabei wird ebenso (!) der/die Andere - das "Anderssein" "auf gleicher Augenhöhe"  - also "face-to-face" akzeptiert - und so belassen/toleriert und angenommen wie er/sie/es ist ... 

 

Und wenn die Denkmal-Architektin ihrer Absicht Ausdruck verleiht: "Wir wollten immer beides, nämlich die Täter- und die Opferseite zum Ausdruck bringen" ... - dann stellt sich bei dieser Glaswand eben die Frage: Auf welcher dieser alternativ polarisierenden Seiten stehe ich gerade: Bin ich Opfer - bin ich Täter - wer beurteilt das - wer bewertet das ...  - oder wechselt meine imaginäre Rolle andauernd - auch je nach Selbst- oder Fremdeinschätzung: eben noch Opfer - jetzt Täter - und umgekehrt???

 

Und mit dieser Trennwand wird auch das viel besungene soziologische Verhaltensmodell einer Trias "Täter-Opfer-Zuschauer" verdeutlicht (verwandt mit dem "Dramadreieck" - dazu bitte hier clicken) ...:

  • Auf der einen Seite die Täter, dieses Konglomerat aus beflissenen und überzeugten Hilfswilligen und Parteigängern: die Schwestern, Polizisten, Ärzte, Reichsbahn-Angestellten, Zugführer, Busfahrer - und deren kaum hinterfragten Einzelhandlungen, die in der Summe dann letztlich zum Mord führen - 
  • auf der anderen Seite die Opfer, die oft "zufällig" und im abzuzählenden "Aschenputtel"-Verfahren ("die Guten ins Töpfchen - die Schlechten ins Kröpfchen") mit den vagen Bezeichnungen von "wirtschaftlicher Verwertbarkeit" bzw. "Lebens-unwert" ausgesucht werden - 
  • und am Schnittpunkt dazwischen die ideologisch verbrämten und dem allgemeinen "Zeitgeist" unterliegenden Zuschauer - die sich heraushalten oder die Aktion heimlich goutieren  - oder vor Scham wie erstarrt sind ...

Und je nach Standort und augenblicklicher Betroffenheit und Verstricktheit tanzen diese Akteure ihre Rollen im Ringelreihn und in Ablösung und Austausch im Miteinander - und werden aufeinander losgehetzt ...


Denn - es kommt ja noch der Aspekt der Spiegelung hinzu - gerade bei einem solchen Blau-Glas - das ist ja wie bei einer spiegelnden Sonnenbrille - wie bei einer Seifenblase - wie das auch deutlich schon in den Fotos zu erkennen ist ...: Ich stehe auf der einen Seite - und werde zurückgespiegelt - die optische Wirkung ist fast so "wie von der anderen Seite" - wo aber eben auch noch "Andere" als Silhouetten und Schatten zu erkennen sind - und zwischen denen sich mein Spiegelbild erkennbar einordnet und einjustiert ...: Ich stehe auf "dieser Seite" - und spiegele mich so - als stünde ich auf der "anderen Seite" ...

 

Mit dem "Gespiegelt-Werden" in der blauen Wand erschließt sich in diesem Zusammenhang ein weiteres für ein Denk-mal bedeutsames Phänomen -  nämlich das des "Reflexes", der "Reflexion", des "Reflektierens" ...:


Reflexion ist ein mehrdeutiger Begriff aus der Physik (= Widerspiegelung, Zurückgeworfenwerden) - der Spiegel "reflektiert" das Licht ...

  • aber damit quasi modellhaft auch aus der Philosophie und Psychologie (= vertieftes Nachdenken - was löst das Phänomen der Widerspiegelung in mir aus ... - "Selbstreflexion" = eine "Introspektion" - eine Innenschau|Meditation|Kontemplation)
  • aus der Systemischen Nomenklatur (Selbstreferentialität: Fähigkeit eines Programms, seine eigene Struktur zu kennen und diese, wenn nötig, zu modifizieren - auch in Bezug auf: Autopoiesis oder Autopoiese = der Prozess der Selbsterschaffung und -erhaltung eines Systems ...) ...

Auch dieses diesbezügliche Konglomerat an Sinnzusammenhängen ist ja einer Ge-Denk-stätte durchaus angemessen - der Betrachter, das Publikum muss sich nur darauf einlassen (können) ...

 

Und ein weiterer Aspekt, den die Architektin auch kurz in einem Interview anreißt - und der wohl auch dem mitbeteiligten Künstler Nikolaus Koliusis geschuldet ist: ist das BLAU - die Farbe als solche - der Charakter - ihre Farbpsychologie und die Assoziationen zu BLAU und dem blauen Licht, das durch die Glaswand erzeugt wird: Mit "Himmel, Luft, Leben und Ferne, Kühle und damit Sehnsucht, Hoffnung, Traurigkeit" - ist es da ja auch - aber noch nicht vollständig - getan ...

 

In einigen Kulturen soll gerade blaues Glas - das "Böse" abhalten ... - aber es gibt auch die emotionalen Verstrickungen mit dem "blue feeling", das die Engländer gern dem flauen Gefühl im Magen oder dem "Kloß im Hals" andichten - wenn längst noch nicht alles in Ordung ist ... - und mit dem "blue feeling" kommt mir natürlich das breite Aussagespektrum der Musikform "Blues" in den Sinn: Auch die Ambivalenz der Blues-Texte, die oft von den Schwarzen Amerikas als verschlüsselte Sprache gegenüber den Weißen verwendet wird ...

 

Alle diese hier nur angedeuteten Blauglas-Inhalte zu übertragen auf die Thematik der vergangenen NS-"Euthanasie" und der vielleicht immer noch gegenwärtigen latenten "Euthanasie" - z.B. das jemanden "In-den-Tod-wünschen", das "Ist-mir-doch-egal", die "Empfindungslosigkeit", die "Rache", die "Vernichtung", das "Was-habe-ich-damit-zu-tun-?" usw. sind schon spannend genug - und ich glaube - man muss sich in diese Thematik der Farbe BLAU bei dieser "Trennwand" des Denkmals noch emotional ein wenig tiefer hineinarbeiten - auch bei der Ambivalenz im Blau von "grenzenloser Freiheit" des "Azzurro" bei gleichzeitiger "Blues"-Bedrückung bis hin zur Depression ...

 

Das Team der Architektin Ursula Wilms zusammen mit dem Künstler Nikolaus Koliusis und dem Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann hat uns da auf den ersten Blick ein fast geradezu simples Mahnmal in die Gedenkkultur Berlins in Bezug auf die NS-Zeit hingestellt ("Was soll das denn sein ...") mit einer gleichzeitig tiefgründigen ambivalenten Mehr"wandigkeit" - und einem kaum unterscheidbaren "Entweder-Oder" ... - einem kaum zu ertragenen Spannungsbogen - irgendwie zwischen "Tod und Leben" - zwischen "Mord" und "Lebenlassen" ...

 

Es ist das, was ich auch oft zurückgespiegelt bekomme von den Gruppen und Schulklassen, denen ich von der Opferbiographie meiner Tante Erna Kronshage berichte: Bitterkeit, Anerkennung, "ein Glück - wenigstens schon lange her" - und manchmal vor lauter Betroffenheit albernes Herumgekichere - um etwas nicht in und an sich herankommen zu lassen ...  - und zum Glück geht jeder Vortrag ja auch mal zu Ende ...

 

Aber zum guten Schluss noch dieser Hinweis: Diese "Blaue Glaswand" dominiert zwar zentral das Gesamtensemble des Gedenkorts - sie wird aber umrahmt von einem vielfältigen Infopult, auf dem man "wetterfest" Informationen erhält zur NS-"Euthanasie" insgesamt, aber auch zu einigen Einzel-Opfer-Schicksalen. Also neben aller "Blauglas"-Interpretationsverrenkungen sind auch noch ganz klare Fakten verzeichnet - und das ist auch gut so... E.W.

 

 

Das Mahnmal für die Opfer der NS-"Euthanasie" - "Die Blaue Wand"

Weitere Preisträger und Entwürfe zum damaligen Gestaltungswettbewerb "Mahnmal" Tiergartenstraße 4: findest du hier

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