Erna Kronshage hat mit ihrer
"Selbsteinweisung" im Herbst 1942 in die "Heil"anstalt Gütersloh auf eine gesundheitliche und mentale Wiederherstellung ihrer Dienstverpflichtungen als "Haustochter" im elterlichen
landwirtschaftlichen Betrieb abgezielt sowie auf eine grundlegende körperliche Regeneration.
Stattdessen wird sie von den NS-Ärzten in Gütersloh jedoch mit "Schizophrenie" diagnostiziert, was nun auf
weitere ärztliche Anordnung hin mit den ungeheuerlichen Torturen der Schockbehandlungs-Serien mit jeweilig ausgelösten epileptischen Krampfanfällen durch Cardiazol-Injektionen "therapiert" wird. Dazu
kommen dann Arbeitstherapie-Maßnahmen mit Kartoffelschälen und Gartenarbeit in der Kolonne - als "Ablenkung" und zum "inneren Spannungsabbau".
Entgegen der vehementen Einsprüche des noch immer sorgeberech-tigten Vaters - Erna ist zu der Zeit noch nicht
"volljährig", noch nicht 21 Jahre alt - wird sie wegen der damals von den Nazis erlassenen erbhygienischen Gesetzgebung nun nach zwei Verhandlungen vor dem Erbgesundheitsgericht Bielefeld und - nach
Einspruch - dem Erbgesundheits-Obergericht in Hamm per Beschluss endgültig "unfruchtbar gemacht" durch eine Unterbauch-Op. - und jetzt wird ihr sogar nach dieser erzwungenen
Zwangssterilisierung die rechtlich jetzt durchaus mögliche Entlassung verweigert.
Sie ist eingesperrt und der weiteren Willkür ausgeliefert.
Denn die Kriegszustände brechen nun erneut mit Wucht in die Alltagsabläufe der
Heilsanstalten ein und machen die Psychiatrie-Patienten zur Verfügungsmasse: Hatten 1941 insgesamt
541 Kranke - davon 350 Patienten im direkten Zusammenhang mit der "Euthanasie"-Aktion T4 - die Anstalt Gütersloh verlassen, sinkt die Zahl im Jahr 1942 auf "nur" 52 Verlegungen. 1943 steigt
diese Zahl der verlegten Patienten schlagartig wieder auf 712 an. 649 dieser 712 Gütersloher Kranken sollen jetzt überzählig in weiter östlich gelegene Anstalten abgeschoben werden, um Belegbetten
für Kriegsverletzte freizumachen - was harmlos mit den "Evakuierungsmaßnahmen aus luftgefährdeten Regionen" umschrieben wird.
Den ersten Hinweis auf diese geplanten "Evakuierungs"-Verlegungen enthielt die
Abschrift des Runderlasses IVg 8958/43–5100 des Reichsministeriums des Innern an den Regierungspräsidenten in Minden vom 11.
Mai 1943:
"Betr.: Verlegung von Insassen der Heil- und Pflegeanstalten aus luftbedrohten Gebieten.
Z.Zt. werden in größerem Umfange Verlegungen von Geisteskranken aus luftgefährdeten Gebiete in andere Anstalten durchgeführt. Wie bisherige Erfahrungen gezeigt haben, suchen Angehörige die Verlegung von Kranken dadurch zu vermeiden, daß sie sie auch gegen ärztlichen Rat nach Hause nehmen. Nach kurzer Zeit
werden dann die Kranken der Anstalt wieder übergeben.
So sehr die Entlassung von Geisteskranken aus der Anstalt erwünscht ist, sobald ihr Geisteszustand dies zuläßt, so
führen doch zu frühzeitige Entlassungen gerade in luftgefährdeten Gebieten zu unerwünschten Zuständen. Der Aufenthalt geistig anbrüchiger Personen in Luftschutzräumen usw. kann sehr leicht zu
Unzuträglichkeiten führen, da sie in ihrem Verhalten unberechenbar sind. Wird die Entlassung seitens der Angehörigen erst nach der Verlegung erwirkt, der Kranke also wieder in das luftgefährdete
Gebiet zurückgebracht und dort nach kurzer Zeit wieder in die Anstaltsbehandlung gegeben, so ist die ganze Verlegung umsonst gewesen.
Ich ersuche daher, Geisteskranke aus luftgefährdeten Gebieten - sei es vor, sei es nach
der Verlegung - nur zu entlassen, wenn sie als geheilt anzusehen sind oder mindestens zu erwarten ist, daß sie sich längere Zeit in Freiheit halten werden.
Die dringlichen Gesuche vom Vater Adolf Kronshage zur baldigen Entlassung von Erna gibt es ja bereits mehrfach im
Schriftverkehr zum Zwangssterilisierungs-Verfahrens. Jetzt - nach der erfolgten Sterilisierung - bestand eigentlich kein gesetzlich
notwendiger Grund mehr, diese immer noch bestehenden und immer wieder erneuerten Ersuchen des Vaters abzulehnen ... - aber es heißt in der Anweisung aus dem Reichsinnenministerium weiter:
»Gegebenenfalls ist die Entlassung zu
verweigern!«
- Bei Geisteskranken, die aufgrund der im Einzelfall gegebenen
gesetzlichen Voraussetzungen (z. B. polizeiliche Einweisung wegen Gemeingefährlichkeit usw.) zwangsweise in der Anstalt zurückbehalten werden können, besteht ohne weiteres die Grundlage für die
Ablehnung von Entlassungsgesuchen.
In Ermangelung einer solchen Grundlage wird der
Anstaltsleiter die für den Bereich der Anstalt geltenden landesrechtlichen Bestimmungen über die zwangsweise Zurückbehaltung von Geisteskranken in geschlossenen Anstalten zur Anwendung bringen müssen. Falls notwendig wird hierbei auch die Mithilfe der Polizei in Anspruch
zu nehmen sein."
Reichsministerium des Inneren
gez. i. A. Dr. [med. Fritz]
Cropp (click zum WIKIPEDIA-Eintrag)
Erna sitzt somit in der
Falle:
die dringlichen Entlassungs-Gesuche vom Vater Adolf Kronshage werden von seiten der
Heilanstalt Gütersloh jetzt erst recht nach den Weisungen aus Berlin bewusst ignoriert - was einer
- gezielt vorgenommenen Internierung,
- einem Einsperren,
- einer "geschlossenen Unterbringung" gleichkommt.
Und diese Entlassungs-Verweigerung führt jetzt schnurstracks in das später so bezeichnete
"wilde", dezentral durchgeführte subtil ineinandergreifende Räderwerk erneuter massenhafter Euthanasie-Ermordungen.
Die angeblichen "Evakuierungs-Transporte aus luftbedrohten Gebieten" der vornehmlich weniger leistungsfähigen und aussortierten Patienten werden akribisch in eigens dafür hergerichtete und perfide durchorganisiert abseits gelegene Tötungsanstalten geleitet und abgeschoben.
Die in der späteren Forschungsaufarbeitung dieser Massenmorde oftmals so bezeichnete
"de-zentrale Euthanasie" hatte mit den Anweisungen des Reichsinneministeriums und den Durchführungsbestimmungen und Abschiebungsplanungen der "Aktion Brandt" einen deutlich erkennbaren "zentralen" Weisungskern aus dem Hauptquartier in der Tiergartenstraße 4 in Berlin (T4-Zentrale).
Es ging im Endeffekt darum, sich den überzählig aussortierten und schließlich abeschobenen
Patienten ein für allemal zu entledigen - und die als "Euthanasie" bezeichneten Patientenmorde nach der Einstellung der ersten "T4-Euthanasiephase" 1941 mit über 70.000 Mordopfern unter einer neuen
"regionaleren" Prämisse mit noch viel höheren Mordopferzahlen fortzusetzen.
Den weiteren Durchführungs-Verlauf der sogen. "Aktion Brandt" liest du auf der nächsten Seite