Die konkreten Vorbereitungen für die Durchführung neuer Deportations-Transporte im Zuge der "(Sonder-)Aktion Brandt" in dafür hergerichtete Tötungsanstalten begannen im September 1943.
Sogenannte Melde- & Beurteilungsbögen
Auf Anweisung des Provinzialverbandes werden alle Patienten der Provinzialheilanstalt
Gütersloh dazu anhand von Melde- und Beurteilungsbögen erfasst - wobei damals schon das jeweilig abgestufte "Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung" (wie heutzutage dieser
Terminus apostrophiert wird) - bei der das jeweilige Leistungsvermögen der Patienten zu Einordnung und Beurteilung in eine von drei
Leistungs-Gruppen führte - (ähnlich wie noch heute im SGB IX, § 136,2, wo explizit die Aufnahmekriterien in eine Werkstatt für behinderte Menschen|WfbM nach ähnlich definierten 3
Leistungsgruppen bewertet werden ...) und so ausschlaggebend war für die
dann zumeist "finalen" Entscheidungen:
- entweder "In-der-angestammten-Einrichtung-Verbleiben" [Daumen hoch = Leben]
- oder aber für "Abtransport"/"Verlegung" [Daumen runter = Tod] in eine der zumeist östlich gelegenen "Evakuierungs" (Tötungs)-Anstalten ...
"Die "Aktion Brandt" leitet hiermit die gezielte & verschleierte Fortführung von Patiententötungen ein
Zentral angeordnete Durchführungsmaßnahmen bestimmen die dezentrale bürokratische Auswahl von Abschiebungs-Patienten, die letztlich
ermordet werden
Damit hätten alle Beteiligten hellhörig werden können, die nach dem Krieg so ahnungslos
taten, als hätten sie nichts davon gewusst oder auch nur geahnt, dass die oft abseitsliegenden aufnehmenden "Evakuierungs"-Anstalten in besetzten Gebieten jetzt eigentlich als reine Abschiebungs- und
Tötungsinstitutionen eingerichtet wurden: es wird doch offensichtlich, dass sich die Abschiebungen aller leistungsmäßig
minderbemittelten Patienten kriegs- und volkswirtschaftlich in diesen Aufnahme-Anstalten "ökonomisch" nicht plausibel rechnen lässt.
Man hätte auf Dauer einen viel höheren Personalschlüssel und Kostensatz zur Pflege
und Betreuung dieses besonders bedürftigen Klientels benötigt - also stellte man folgerichtig diese "Reisenden" in den Aufnahmeanstalten
rasch und "nachhaltig" im weitesten Sinne "ruhig" - sie wurden nach eigens ausgeklügelten Ablaufsystemen ermordet...
Ein weiteres "Indiz" für die Fortführung der "Euthanasie"-Tötungen auch nach 1941 war die Durchführung dieser "Evakuierungs"-Transporte
und des sonstigen Know Hows durch die Gekrat, der "Gemeinnützigen Krankentransport GmbH",
einer Tarnorganisation der Zentrale Tiergartenstraße 4 - T4, die bereits die Krankentransporte zwischen 1939 und 1941 für die erste NS-"Euthanasie"-Welle zentral bis aufs I-Tüpfelchen organisiert
hatte (Stichwort: "Graue Busse")...
Die Planung von Einteilungskriterien der Patienten in Leistungskategorien
Laut Verfügung des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen - Landeshauptmann
Kolbow - handelt es sich bei
Kategorie I : "um ständig pflegebedürftige, insbesondere
bettlägerige, sieche, altersschwache und ähnliche Kranke".
Kategorie II : "aus sonstigen Gründen ständig arbeitsunfähige
Kranke".
Kategorie III: "in Haus- und Außenarbeit
einsatzfähige Kranke". Die Zuweisung zu dieser Gruppe sollte unter der Voraussetzung erfolgen, dass unter Aufsicht mit Regelmäßigkeit eine nützliche Arbeitsleistung erreicht
wurde.
Immer mehr Pflegehäuser, die eigentlich für die Unterbringung der psychisch Kranken der Anstalt vorgesehen sind,
werden aufgrund des massiven Feindbombarde-ments von der Wehrmacht als Krankenhaus- und Lazarett beansprucht. Neben der zunehmenden Luftgefahr war dies der handfeste Grund für die anstehenden
Verlegungen. Es war in Zukunft nur noch für Patienten in der Anstalt ein Platz, die arbeitsfähig waren, d. h. die vor allem auch den Lazarettbetrieb mit aufrechterhalten konnten.
Verordnung des Landeshauptmann Kolbow, Provinzialverband Westfalen, zur Erfassung aller Patienten in
3 Gruppen - hier an die Heilanstalt Marsberg, vom 15.06.1943. - Man kann auf dem Dokument deutlich erkennen, dass es sich um eine Durchschrift handelt. Ein gleiches Anschreiben wird die Heilanstalt
Gütersloh, Direktor Dr. Hartwich, mit Sicherheit ebenfalls erhalten haben. Quelle: Archiv LWL -
Bildquellen Akten: charite.de
Die vom Provinzialverband angeforderte Aufstellung der Patienten in drei
Leistungs-Kategorien erfolgte am 09. September 1943. 178 Männer und 279 Frauen fielen in die Gruppen I und II, 338 Männer und 473 Frauen gehörten der Gruppe III an. Nach den Angaben der Anstalt
wurden zur Aufrechterhaltung der Anstaltsbetriebe aber nur 250 Männer und 350 Frauen benötigt. Damit konnten auch Patienten der Gruppe III verlegt werden - also erfolgte noch einmal eine willkürliche
Selektion dieser überzähligen - aber eigentlich leistungsfähigenPatienten.
Diese Abschiebungen der überzähligen und
nicht weiter verwendbaren Patienten und damit auch die Tötungs-Entscheidungen für die jeweiligen Aufnahmeanstalten waren nun nicht mehr ärztliche Einzelfall-Entscheidungen, sondern entstanden "aus
der Aktenlage", dem jeweilig abgestuften "Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer
Arbeitsleistung", und aus "zahlenarithmetischen" Überlegungen heraus ... - aus bautechnischen Überlegungen zu den benötigten
Gebäudetrakten - und z.B. auch der kostengünstigen Auslastung der Transportzüge der Reichsbahn durch die GEKRAT usw. usf. ...
- "Die Zeit der ärztlichen Planungsamateure war abgelaufen"
(Aly).
- Jetzt hatten die Leiter der Wirtschaftsabteilungen die Fäden in der Hand und gaben
sämtlichen ökonomischen Fragen den Vorrang." (Mäckel, Dissertation: Prof. Fr. Nitsche, S.96).
Die Verrechnungsbeamten entschieden nun
allein aufgrund der festgestellten Daten und Fakten und aufgrund der benötigten Lazarettbettenzahlen. Das geschah am Schreibtisch - vor Ort - und ggf. noch mit dem Abteilungsarzt, der aber
grundsätzlich aus rein ökonomischen statt aus medizinischen Gesichtspunkten mit entschied.
Die Rahmenbedingungen werden dazu
aus den Abteilungen der alten Seilschaft "T4" in Berlin vorgegeben und "auf den Weg gebracht". Der Mensch, der angeblich erkrankte bzw. behinderte Mitmensch, ist so zur reinen
"Verfügungsmasse" instrumentalisiert worden ...
Die GEKRAT und die "Aktion Brandt"
Am 05. Oktober 1943 tritt im Schriftverkehr
eben auch diese GEKRAT wieder auf den Plan, deren Organisationszentrale unter der Führung eines Herrn Sawall zur Zeit nicht mehr in Berlin sondern in Hösel bei Ratingen/Rheinland war. Die vier
Abteilungen der T4-Organisation hatten sich in verschiedene Standorte über das ganze Reich verteilt - aus Tarnungs- und aus Luftschutzgründen. So saß die Abteilung I, dessen Chef Dr. Nitsche war,
beispielsweise am Attersee.
Die gesamte Transportorganisation rangierte unter dem Decknamen "Sonderaktion Brandt". Dieses Stichwort findet sich auf allen Briefen der Anstalt
Gütersloh an die GEKRAT.
Im WIKIPEDIA-Eintrag zur „Aktion Brandt“ wird unter der Überschrift „Begriff“ gemutmaßt, die
Bezeichnung „Aktion Brandt“ sei eine „willkürliche“ Benennung, hauptsächlich geprägt vom Historiker Götz Aly in 1985.
Im Anschreiben der GEKRAT - jetzt aus
„Hösel bei Ratingen“ (statt Berlin) vom 28.10.43 – der „zentralen“ T4-Tarn-Transportorganisation - an Direktor Hartwich aus Gütersloh, wird zur Kennzeichnung der „Abtransports“-Maßnahme am 12.11.1943
aber bereits das Stichwort „Sonder-Aktion Brandt“ verwendet – was so wohl eine zentral gesteuerte Begrifflichkeit dieser Maßnahme „von höchster Stelle aus
Berlin“ darstellt.