NS-PSYCHIATRIE & EUTHANASIE . INFOS & NEWS
Seit Jahrzehnten Diskussionen um die Klarnamensnennungen von NS-Euthanasie-Mordopfern
... Ich habe dich bei deinem NAMEN gerufen ... - Die Bibel
Seit Jahren gibt es bei der Namensnennung von NS-Euthanasie-Opfern Probleme mit einigen ganz wenigen Angehörigen, mittlerweile oft der 2.. bis 3. Generation danach, die es ausdrücklich wünschen, dass ihr ermordeter Anverwandte oder Urahne nicht mit vollem Klarnamen in Gedenkbüchern und auf Memorialblogs oder auch auf Stolpersteinen und Erinnerungsaufzählungen oder in Wikipedia genannt wird. Das Motiv ist wohl, dass man den "eigenen Familiennamen" nicht mit einem "Euthanasiemord" in Verbindung gebracht wissen will, also mit psychisch und geistig beeinträchtigten Menschen - und befürchtet dadurch vielleicht im öffentlichen Leben und bei Bewerbungen deshalb vielleicht sogar Nachteile und Diskriminierungen.
Man muss solche Ängste sicherlich ernstnehmen - trotzdem diese Denke für mich ja schon erinnert an die eugenischen Überlegungen der nationalsozialistischen Erbgesundheit in ihrem Blut- & Boden-Denken, denn psychiatrische Erkrankungen oder geistige Beeinträchtigungen sind in der Regel ja nicht genetisch vererbbar.
Allenfalls gibt es hier und da vielleicht eine Disposition in den Familien, die aber sicherlich ebenso herrühren können vom namentlichen familiären Verschweigen und Vertuschen solcher Ermordungen im Verwandtenkreis, oder wegen nicht gut verarbeiteter und nicht erfolgreich assimilierter, über Generationen innerpsychisch weitergereichten Familien-Traumatisierungen, eben aufgrund solcher Krankenmord-Geschehnisse vor 80 Jahren.
Nur mit einem kompletten Klarnamen lässt sich das ermordete Opfer wenigstens im Nachhinein in den Erzählungen und im Gedenken wieder in etwa "bemündigen", und ein Stück persönliche Würdigung erfahren, wo man es doch gänzlich "mundtot" machen wollte - für immer & ewig.
Gerade habe ich in der ZEIT eine Überschrift gelesen in einem Artikel für die Euthanasie-Opger in Eglfing Haar: "Damit Theas Name nicht vergessen wird." es geht also vielen Angehörigen gerade um die Nennung der Namen, um das Unrecht zu benennen.
So wird endlich die Scham durchbrochen - und wenigstens der Name gerufen, genannt, in die Messingplakette eines Stolpersteins graviert, auf das Pergament eines Gedenkbuches in kalligraphischer Fertigkeit übertragen, der Name leuchtet in das Dunkel einer Gedenkkapelle auf einem Leuchtpult, und fordert auf, nach ihm zu googeln und zu recherchieren. Der Name wird gelesen und gesprochen - und damit dieser einzigartigen Person gedacht, die dahintersteht: "ICH habe dich bei Deinem Namen gerufen", sagt der Gott der Bibel....
Das Ziel der Nazis war die vollständige "Niederführung" und "Ausmerze" der nicht leistungsfähigen (sprich: "kriegsverwendungsfähigen") Mitmenschen damals - und dazu durch die zig hunterttausenden Zwangssterilisationen die Schaffung eines "gesunden Volkskörpers".
Mit der namentlichen Verleugnung der Opfer in der Öffentlichkeit und in den Familien wird somit diesem Willen immer noch Rechnung getrragen.
NS-Euthanasie
Zum 1.09.2019: Sie wollen den Opfern ihre Würde zurückgeben
Hunderte Menschen aus dem Gebiet des heutigen Landkreises Biberach sind zwischen Januar und Dezember 1940 von den
Nazis in die damalige Tötungsanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb deportiert und dort vergast; so die Schätzung von Johannes Angele, dem Leiter der Interessengemeinschaft (IG) Heimatforschung
im Landkreis Biberach.
In einem neuen Projekt will die IG nicht nur eine möglichst vollständige Namensliste aller Opfer aus dem Kreisgebiet erstellen, sondern auch die Biografien dieser Menschen nacherzählen. Dabei hofft
die IG auch auf Unterstützung der Bürger.
Bei den Menschen handelte es sich um Patienten, die bis 1940 in den Heil- und Pflegeanstalten in Schussenried, Zwiefalten, Heggbach oder Ingerkingen wegen ihrer zum Teil mehrfachen körperlichen oder
psychischen Behinderungen oder chronischen Erkrankungen gepflegt wurden.
1940 ordneten die Nazis die systematische Ermordung von Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen an. Diese im Zusammenhang mit den NS-Erbgesundheitsgesetzen „Vernichtung
lebensunwerten Lebens“ wurde später auch als „Aktion T4“ bekannt, die auf die dafür zuständige Zentraldienststelle in der Berliner Tiergartenstraße 4 Bezug nimmt.
Die Umkehrung des griechischen Begriffs „Euthanasie“ im Sinne von Sterbehilfe stellt mit Blick auf das systematische Töten der Nazis einen Euphemismus dar. Er wird erst in Folge der Strafprozesse
nach 1945 in diesem Zusammenhang verwendet.
Um ihre Pläne im Südwesten in die Tat umzusetzen, beschlagnahmten die Nazis im Oktober 1939 – also vor genau 80 Jahren – Schloss Grafeneck und machten daraus in der Folge die erste Tötungsanstalt in
Deutschland.
Mehr als 10 600 Menschen kamen dort im Jahr 1940 in der in einer als Garage getarnten Gaskammer zu Tode. Ein Zweck der Tötungen sei gewesen, dadurch ausreichend freie Lazarettplätze für die Folgen
des Frankreichfeldzugs zu schaffen, sagt Angele.
Mit Postbussen abgeholt
„Die Menschen wurden mit Reichspost-Bussen aus den Pflegeanstalten abgeholt und nach Grafeneck gebracht“, schildert Bodo Rüdenburg von der IG Heimatforschung.
Er hat als Mitarbeiter der Bibliothek des damaligen Psychiatrischen Landeskrankenhauses (PLK) Zwiefalten bereits ab den 1980er-Jahren Forschungen über die „Euthanasie“ in Zwiefalten und Schussenried
betrieben und publiziert.
Dass in den Erinnerungen von Zeitzeugen immer wieder von „grauen oder grünen Bussen“ die Rede sei, obwohl die Busse der Reichspost eigentlich rot lackiert waren, führt Rüdenburg auf die Zeitumstände
zurück.
Zum einen habe man die Busse in Kriegszeiten aus Gründen der Tarnung umlackiert. Des Weiteren seien später die Scheiben geweißelt worden, damit man nicht mehr ins Innere blicken konnte.
Die Tötungen blieben nicht völlig verborgen, inder Bevölkerung kursierten schon bald Gerüchte. Der evangelische Pfarrer Leube aus Schussenried sprach sich in einem Brief an das Reichsinnenministerium
gegen die Tötungen aus, erhielt aber nie eine Antwort. In Schussenried erfuhr man erst nach dem Krieg von Leubes Brief.
Das Thema NS-Euthanasie gelte auch heute vielfach noch als Tabu, sagt Angele. Verschämt sei nach dem Krieg darüber gesprochen worden, „dass dieser oder jener in Grafeneck durch den Kamin geschickt“
worden sei.
Seine Hoffnung sei, so Angele, dass durch die zeitliche Distanz zum Geschehen inzwischen ein offenerer Umgang damit möglich sein müsse.
Aufgrund einer perfiden deutschen Gründlichkeit gebe es namentliche Transportlisten der Deportierten. Nach der Wende seien in einem Stasi-Archiv in Berlin auch die Krankenakten vieler der Getöteten
entdeckt worden, sagt Rüdenburg. „Die sind zwischenzeitlich restauriert und enthalten Krankengeschichten, aber zum teil auch Fotos und Briefe. Das ist für uns sehr hilfreich.“
Möglichst viele Lebensläufe
Die IG Heimatforschung möchte die Biografien der Getöteten aber über die Akten hinaus nachzeichnen und hofft deshalb auf die Mithilfe von Angehörigen oder anderen Menschen, die etwas über die Opfer
wissen.
Ziel ist, so Angele, bis Ende des Jahres eine vollständige Namensliste aller Getöteten aus dem Kreis Biberach, geordnet nach Kommunen, zu haben und in danach möglichst viele ihrer Lebensläufe zu
rekonstruieren.
Hier baut er auch auf Unterstützung der Gedenkstätte Grafeneck. Auch die Kreisarchive der Region befassten sich mit dem Thema NS-Euthanasie, sagt Angele. „Wir wollen nicht, dass die Erinnerung an
diese Menschen einfach verschwindet, sondern wollen ihnen ihre Würde zurückgeben.“
Veröffentlicht werden sollen die Forschungsergebnisse am Ende in einem Buch. „Wir werden dafür Sorge tragen, dass das in würdiger Form und Sprache geschieht“, verspricht Angele. Denn die Sprache in
den Krankenakten sei menschenverachtend.
aus: schwäbische.de (click)
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sogen. "gnadentod-erlass" |
Weiter Weg ins Gedächtnis der Gesellschaft
Vor 80 Jahren begann mit dem „Euthanasie“-Programm das erste große Vernichtungsprojekt des NS-Staats
Text von Christoph-David Piorkowski | Tagesspiegel, Donnerstag 29. August 2019, Nr. 23929, S. 25 Wissen &
Forschen
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Elisabeth Willkomm - Foto aus: www.gedenkort-t4.eu |
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Stolperstein für Elisabeth Willkomm |
In Wahrheit ist Elisabeth Willkomm eine von zahllosen Patienten und Patientinnen, die im Zuge der
sogenannten „wilden Euthanasie“ in den Krankenhäusern Nazideutschlands umgebracht wurden. Denn auch nach dem vermeintlichen „Euthanasie-Stopp“ vom August 1941 wurde die groß angelegte Ermordung von
körperlich, geistig und seelisch beeinträchtigten Menschen still und leise weitergeführt.
Bis Kriegsende haben Ärzte und Pflegepersonal mittels Nahrungsentzug und der Überdosierung von Medikamenten Leben, die sie „lebensunwert“ fanden, nach eigenem Ermessen beendet. In Polen und in der
Sowjetunion mordeten die Schergen der SS zahllose Heime und Krankenhäuser leer. Die „nationalsozialistischen Krankenmorde“ reichen also bei Weitem über die etwa 70 000 Menschen hinaus, die unter der
Ägide der Zentraldienststelle „T4“ in der Berliner Tiergartenstraße in sechs eigens eingerichteten Tötungsfabriken vergast wurden. Nach aktuellen Expertenmeinungen sind im Reichsgebiet und in
Osteuropa mehr als 300 000 Personen Opfer der „Euthanasie“ geworden.
In diesen Tagen liegt der Auftakt des Verbrechens 80 Jahre zurück.
In einem auf den 1. September 1939, den Tag des Kriegsbeginns, zurückdatierten Schreiben verfügte Hitler die unter dem Euphemismus des Gnadentods firmierende „Vernichtung unwerten Lebens“. Historiker
gehen heute davon aus, dass die Krankenmorde stärker ökonomisch als „rassehygienisch“ motiviert waren.
So wollte man sich die Versorgungskosten für jene Menschen sparen, die man zur Last für den „Volkskörper“ erklärte.
Mit der „Aktion T 4“, der zentral organisierten Ermordung von Kranken mit Kohlenmonoxid, verfolgten die Nazis aber noch andere Ziele. So gilt die Aktion als Testphase für die sich daran anschließende
Judenvernichtung. Doch nicht nur die Durchführung der zentralen „Euthanasie“, auch ihr jähes Ende im August 1941, hat unmittelbar mit der Shoah zu tun. Von Cranach sagt, der sogenannte
„Euthanasie-Stopp“ sei nur zum Teil mit der Empörung zu erklären, die in Teilen von Kirche und Gesellschaft bestand. Nicht zuletzt sei „T4“ auch deshalb gestoppt worden, weil man das in Organisation
und Durchführung von massenhaften Tötungen nunmehr geschulte Personal für den aufwendigeren Holocaust brauchte.
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Am 1. September 2019 jährt sich nicht nur das erste groß angelegte Vernichtungsprojekt der Nationalsozialisten, sondern auch das zentrale Gedenken an die Opfer.
Hinterbliebene und überlebende Opfer haben auf einen zentralen Gedenkort lange warten müssen. Auch deshalb begeht der Förderkreis Gedenkort T4 am morgigen Freitag gemeinsam mit verschiedenen
Stiftungen und Verbänden das kleine Jubiläum mit einem Festakt ab 10 Uhr.
Das späte Gedenken an die Euthanasie „hängt sicher auch damit zusammen, dass psychisch kranke Menschen in der Gesellschaft keinen leichten Stand haben“, sagt von Cranach. Der Psychiater hat viel zur
Aufarbeitung der NS-Krankenmorde beigetragen. Gemeinsam mit anderen Sozialpsychiatern und Medizinhistorikern sorgte er in den 80er-Jahren dafür, dass die deutsche Psychiatrie sich der Vergangenheit
stellt. Denn nach 1945 gab es keine Zäsur. Der Großteil des „Euthanasie“-Personals wurde unbehelligt von jedweder Bestrafung weiter in den Kliniken beschäftigt.
Die katastrophalen Zustände einer entsozialisierenden „Verwaltungspsychiatrie“ verbesserten sich in den 80er-Jahren im Zuge der Psychiatriereform. Man dürfe sich aber nicht darauf ausruhen, sagt Michael von Cranach.
Am Berliner Gedenkort in direkter Nachbarschaft der Philharmonie werden die Opfer nicht als abstrakte Gruppe repräsentiert. Sie werden als jene Individuen erinnert, als die sie aus dem Leben gerissen wurden. Nur so finden Menschen wie Elisabeth Willkomm einen Weg ins Gedächtnis der Gesellschaft.
Verbrechen und Aufarbeitung
Nach der Besetzung des Elsass wird 1941 die „Reichsuniversität Straßburg“ gegründet, als geistiges Grenzbollwerk der NS-Ideologie. Dort führen Ärzte menschenverachtende Experimente durch, um die vermeintliche Überlegenheit der „arischen Rasse“ zu beweisen und als kriegswichtig eingestufte medizinische Forschung voranzutreiben, finanziell unterstützt durch Himmlers SS-Forschungseinrichtung „Ahnenerbe“. 1944 wird Straßburg befreit: Im Keller des anatomischen Instituts werden die Leichen von 86 jüdischen Häftlingen gefunden, die der Straßburger Professor für Anatomie, August Hirt, 1943 aus dem KZ Auschwitz ins elsässische KZ Natzweiler-Struthof hatte bringen lassen, wo sie ermordet wurden. Die Leichname sollten einer Skelettsammlung dienen. 1945 nimmt Hirt sich das Leben. 2015 entdeckt der Forscher Raphaël Toledano drei noch bestehende Humanpräparate der 86 Hirt-Opfer in einer Sammlung der Straßburger Rechtsmedizin. Die sterblichen Überreste werden kurz darauf beigesetzt. 2016 wird eine internationale unabhängige historische Kommission für eine Laufzeit von vier Jahren etabliert.
„Meine Forschung ist auch politische Arbeit“
Wie man im Elsass mit den NS-Verbrechen an der „Reichsuniversität Straßburg“ umgeht und
welche Bedeutung historische Erkenntnis für unser Gegenwart hat – das erklärt die Ärztin und Historikerin Lea Münch im Gespräch
INTERVIEW NICHOLAS POTTER | TAZ
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August Hirt, Arzt und
Naziverbrecher - Foto: Archiv
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taz: Frau Münch, spätestens seit dem Nürnberger Ärzteprozess war bekannt, dass der NS-Anatom August Hirt im Elsass 86 jüdische Häftlinge ermorden ließ, um die Leichname für eine Skelettsammlung zu missbrauchen. Die meisten von ihnen konnten nach Kriegsende bestattet werden. 2015 wurden dann aber drei noch bestehende Humanpräparate der Hirt-Opfer in einer Sammlung der Straßburger Rechtsmedizin gefunden. Wie konnten die dort so lange unentdeckt bleiben?
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Studium an der „Reichsuniversität Straßburg“ – Propagandabild, NS-Zeitschrift „Das Reich“, 1941 Foto: Rene Fosshag/Ullstein Bild |
Lea Münch: Jede medizinische Fakultät hat mehr oder minder umfangreiche Sammlungen. Es finden sich Knochen, Organe und auch Gewebeschnitte für mikroskopische Untersuchungen. Diese können
grundsätzlich noch aus dem Deutschen Kaiserreich stammen, aus der NS-Zeit oder aber auch nach 1945 erst angefertigt worden sein. Zwischen 1945 und 1954 wurden in erster Linie nur juristisch
auffällige, kriminell verdächtige Versuche und Präparate in Militärprozessen untersucht – bei Weitem nicht alle medizinischen Forschungen und Sammlungen. Ab 1955 verschwand das Thema, besonders im
Elsass. Weder Deutschland noch Frankreich fühlten und fühlen sich bis heute wirklich zuständig für die Aufarbeitung und die Verantwortung der NS-Universität Straßburg; Die französische Universität
wurde nach Clermont-Ferrand verlagert und die unrechtmäßige „Reichsuniversität Straßburg“ hatte keine Nachfolge. Erst die Identifizierung der drei Präparate 2015 belegte faktisch, dass eine
weiterreichende Untersuchung notwendig ist.
Nach dem Fund 2015 wurde eine unabhängige historische Kommission an der Universität Straßburg gebildet, in deren Rahmen Sie promovieren. Was untersuchen Sie genau?
Für den gesamten Zeitraum des Bestehens der „Reichsuniversität Straßburg“ sind die Krankenakten der Psychiatrischen Universitätsklinik erhalten geblieben: Das sind circa 2.500 Krankenakten von
1941 bis 1944 – für Historiker*innen eine umfangreiche Quellenbasis. In den stichprobenartig ausgewerteten Akten konnte ich bisher keine Hinweise auf unnatürliche Todesfälle finden. Sowohl die Aktion
„T4“ – also die Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit psychiatrischen Krankheiten und Behinderungen – und die anschließende sogenannte dezentrale „Euthanasie“ fand aber üblicherweise auch nicht
an Universitätskliniken statt, sondern in den Heil- und Pflegeanstalten, in denen Menschen mit chronischen Diagnosen untergebracht waren.
Deuten die Akten darauf hin, dass es anderswo im Elsass Euthanasie gab?
Nicht direkt – aus der Psychiatrischen Universitätsklinik wurden aber Menschen mit langwierigen Krankheitsverläufen in die zuständige Heil- und Pflegeanstalt verlegt. Im Januar 1944 gab es einen
Transport von 100 Männern aus den elsässischen Anstalten Hoerdt und Stephansfeld in die NS-Tötungsanstalt Hadamar, wo diese Menschen ermordet wurden. In beiden Anstalten findet sich außerdem während
des Krieges eine deutliche Übersterblichkeit, die auf Versorgungsengpässe zurückzuführen ist. Ob es auch dort dezentrale Euthanasieformen gab, werde ich erst nach der Auswertung der dortigen
Krankenakten sagen können.
Wie wird in der Region mit der NS-Zeit umgegangen?
Das Elsass war schon immer ein Spielball zwischen Frankreich und Deutschland: Die heutige Generation verfügt aber nur noch bedingt über eine spezifische elsässische Identität, sie wurde in
Frankreich sozialisiert. Insgesamt berief man sich im öffentlichen Diskurs gerne auf die wenigen Widerstandskämpfer*innen und auf die Opferrolle des Elsass, die sogenannten zwangsverpflichteten
„malgré nous“, und marginalisierte die Fragen nach Kollaboration und Täterschaft auf französischer Seite. Daher war es auch nicht einfach, unser Forschungsvorhaben zu realisieren. Mit der aktuellen
Generation wird das aber leichter – das zeigt unter anderem die Bildung der Kommission.
Haben elsässische Ärzt*innen mit den Nazis kollaboriert?
Darauf lässt sich keine pauschale Antwort geben, die meisten Fälle sind weder schwarz noch weiß. Vor dem Überfall Nazideutschlands auf Frankreich wurde eine bestimmte Zone in der Nähe der Grenze
komplett evakuiert – inklusive der Université de Strasbourg. Viele elsässische Ärzt*innen sind mit in den unbesetzten Teil im Süden Frankreichs gegangen. Das erklärt, warum es an der Straßburger
Universität unter den Ärzt*innen keinen größeren Widerstand gab – die in der Résistance tätigen Mediziner*innen waren nicht ins Elsass zurückgekehrt. Ein gewisser Teil der Ärzt*innen ist aber aus den
verschiedensten Gründen in das nun unter deutscher Verwaltung stehende und de facto annektierte Elsass zurückgekehrt, was auch von der NS-Verwaltung deutlich gefordert wurde.
Haben die ins Elsass Zurückgekehrten also mit den Nazis zusammengearbeitet?
Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Biografie des Chirurgen Adolphe Jung, der zunächst eine der von den Nazis standardmäßig eingeforderten Loyalitätserklärungen unterschrieb, in welcher
er sich zu den Grundsätzen des nationalsozialistischen Reichs bekannte. Letztendlich entschied er sich vor der offiziellen Eröffnung der „Reichsuniversität“ aber anders, wurde sozusagen in kleinere
badische Orte „zwangsversetzt“ und arbeitete schließlich unter dem berühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch an der Berliner Charité. Nach Kriegsende kehrte er nach Straßburg zurück und arbeitete
wieder, nicht ohne Schwierigkeiten, an der dortigen Universität. Sein Tagebuch wurde vor Kurzem veröffentlicht. Es bietet einen aufschlussreichen Einblick und zeigt, dass die Entscheidung zwischen
Kollaboration und Widerstand nicht immer geradlinig verlaufen ist und es bei jeder Biografie einer historisch differenzierten Betrachtung bedarf.
Mit der „Reichsuniversität Straßburg“ wollten die Nazis ihre Ideologie „wissenschaftlich“ verfestigen. Inwiefern wurde die Wissenschaft instrumentalisiert?
Der Begriff der Instrumentalisierung ist in diesem Zusammenhang nur bedingt zutreffend, weil dieser eine einseitige Sicht auf die Geschichte impliziert. Wissenschaft ist nie wertfrei zu verstehen
und die Nationalsozialisten haben den Wissenschaftsbetrieb nicht einfach unter Zwang für ihre Zwecke vereinnahmt, sondern manche der menschenverachtenden Humanexperimente sind auch auf
Eigeninitiative der Ärzt*innen zurückzuführen. Hinzu kommt, dass diese Berufsgruppe in außerordentlich hohem Maß in der NSDAP und anderen NS-Organisationen vertreten war. Daher lässt sich das
Verhältnis von Wissenschaft und NS-Regime vielmehr als komplexes Wechselspiel beschreiben, von dem beide Seiten auf unterschiedlichen Ebenen profitiert haben.
Was hat Sie motiviert, in diesem Themenbereich zu forschen?
Es ist unerlässlich, die historischen Bedingungen zu verstehen, die zu einer menschenverachtenden Medizin geführt haben. Außerdem hat sich die historische Forschung
lange hauptsächlich auf die Täter fokussiert, aber mit dem Schicksal der Opfer hat sich fast niemand beschäftigt. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Die physische Vernichtung sowie
die Auslöschung der Erinnerung an Menschen, die nicht ins nationalsozialistische Weltbild passten, war erklärtes Ziel der Nazis.
Das Einzige, was wir heute noch tun können, ist, zu versuchen den Opfern ein Stück ihrer Identität und Persönlichkeit zurückzugeben. Daher verstehe ich meine
Forschung auch als eine Form von politischer Arbeit. Trotz der Schlussstrichrhetorik der AfD und anderen Rechten ist das Thema noch nicht abgeschlossen.
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Lea Münch - Foto: Nicholas Potter |
Lea Münch, 28, ist Ärztin und Medizinhistorikerin. Sie studierte an der Berliner Charité. Aktuell promoviert sie im Rahmen der historischen Kommission an der Université de Strasbourg.
"... möchte ich Sie noch höflich bitten, mir folgende Fragen zu beantworten" - update
UPDATE -
in den letzten tagen wurde dieser beitrag vom herbst 2018 einige male erneut aufgerufen - dadurch aktualisierte er sich quasi wie von selbst ...
ich fügte hier ein "deutschlandfunk"audio-feature zum thema bei - und fand im netz ein relativ gut erkennbares gesamt-foto vom passow-triptychon, das ich meiner mühsamen"rekonstruktion" aus verschiedenen quellen gerne hinzufügen mag...
ansonsten gelten für mich weiterhin meine ausführungen dazu vom herbst 2018 - wie in irsee der derzeitige stand der entwicklung um das triptychon ist, vermochte ich im netz nicht zu klären ... sinedi - 11.03.2019
Gedenkkultur zur NS-Euthanasie
Die unerträgliche Wahrheit
Aus einer Gedenkstätte für die Opfer der Kranken-Ermordung durch die Nazis in Kloster Irsee wird wohl ein Kunstwerk
entfernt, weil es nicht mehr der aktuellen Gedenkkultur entspricht
VON SABINE REITHMAIER | SZ
Der Anblick des Triptychons ist nicht leicht auszuhalten: ein sich verzweifelt aufbäumender
Bub, der von zwei Frauen hochgezerrt wird. Wie eine Kreuzigungsszene mutet das dreiteilige Werk an, das eines der gequälten Kinder zeigt, die in der "Bayerischen Heilanstalt für Geisteskranke" in
Irsee während der Nazizeit durch Spritzen ermordet wurden oder durch gezielt eingesetzte Magerkost verhungerten.
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Der rechte Flügel des Triptychons: Das gepeinigte Kind wirkt in seiner Haltung wie der gekreuzigte Christus. Foto: Beate Passow, VG BildkunsT Bonn 2018 |
Beate Passows Werk hängt in der Prosektur dieser ehemaligen Anstalt. Vielleicht sollte man besser sagen, noch hängt es da - denn die Münchner Künstlerin ist davon überzeugt, dass ihr Werk entfernt
werden soll. Ob ihre Annahme richtig ist, dazu wollte sich der Besitzer des Triptychons, der Bezirk Schwaben, nicht äußern. Jedenfalls nicht vor der Sitzung des zuständigen Werkausschusses, der an
diesem Donnerstag tagt und über eine Neukonzeption der Gedenkstätte berät.
"Die Prosektur als solche bedarf einer Neukonzeption, um den heutigen Ansprüchen an eine produktive didaktische Gedenkstättenarbeit zu genügen", teilte die Pressestelle des Bezirks mit. Ein
artiger Satz, fast so artig wie der Titel des Triptychons: "... möchte ich Sie noch höflich bitten, mir folgende Fragen zu beantworten". Passows Werk hängt seit 20 Jahren in dem kleinen
Gebäude, das versteckt auf der Nordseite der ehemaligen Klosteranlage Irsee liegt. Nach der Säkularisation wurde es erst als "Kreis-Irrenanstalt", dann als Zweigstelle der Pflegeanstalt Kaufbeuren
genutzt. In der Prosektur sezierten die Ärzte die Leichen der Patienten, um ihre Todesursache festzustellen, auch dann, wenn sie, wie in der Nazi-Zeit genau wussten, woran die Patienten gestorben
waren. 1972 wurde die Irseer Abteilung für psychisch Kranke aufgelöst, wenige Jahre später in ein Bildungszentrum des Bezirks Schwaben umgestaltet. Seither hat sich viel verändert. Nur in der
Prosektur, die Mitte der Neunzigerjahre in eine Gedenkstätte für die Opfer des sogenannten Euthanasie-Programms umgewandelt wurde, sieht es noch genauso aus wie damals, abgesehen von Passows
Triptychon im Vorraum. Das Werk überfällt den Betrachter übrigens nicht unerwartet. Zugänglich ist die Prosektur nur für diejenigen, die sich zuvor den Schlüssel beim Hauspförtner holen.
Der Titel des Triptychons: "... möchte ich Sie noch höflich bitten, mir folgende Fragen zu beantworten". (Foto: Beate Passow, VG BildkunsT Bonn 2018)
Der dreiteilige Siebdruck ist ursprünglich auch nicht für diesen Ort entstanden. Michael von Cranach, langjähriger Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, dem es in erster Linie zu
verdanken ist, dass die Geschichte der Kaufbeurer und Irseer Anstalt während der Nazizeit so präzis aufgearbeitet worden ist, hatte Beate Passow Originalaufnahmen übergeben und sie ermuntert, daraus
ein Werk zu schaffen. Vom Ergebnis war Cranach sehr beeindruckt. Auch Rainer Jehl, damals Leiter des Bildungszentrums, faszinierte das 1996 in einer Ausstellung des Kunsthauses Kaufbeuren gezeigte
Werk so, dass er es für die Prosektur erwarb.
Michael von Cranach, der auch am soeben erschienenen "Gedenkbuch für die Münchner Opfer der nationalsozialistischen 'Euthanasie'-Morde" mitgearbeitet hat, schätzt das Triptychon noch immer sehr. Aber
manchmal frage er sich inzwischen, ob das Werk in der jetzt präsentierten Form noch der aktuellen Gedenkkultur gerecht werde, sagt er. Zum ersten Mal sei ihm das bewusst geworden, als vor fünf Jahren
die Arbeitsgemeinschaft der Euthanasieforscher und Gedenkenstättenleiter in Irsee tagte und manche Kollegen es entwürdigend fanden, Täterbilder von den Opfern zu zeigen. Das Argument, es handle sich
um Kunst, wollten sie nicht gelten lassen. Genauso wenig wie die Mitarbeiter aus Behinderteneinrichtungen, die Cranach während seiner Führungen durch die Prosektur darauf hinwiesen, es sei mit
Artikel 5 der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar, Behinderte in derart diskriminierender Weise zu zeigen.
Als auch eine von Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Vorjahr initiierte Tagung, die sich mit der Frage der Namensnennung von Euthanasieopfern beschäftigte, zu dem Ergebnis kam, Namen und Daten
der Opfer sollten zwar veröffentlicht werden, nicht aber diskriminierende Täterdarstellungen oder deren falsche Diagnosen, setzte das große Nachdenken ein. Seither machten sich die Bezirke Gedanken
darüber, ob sie ihre Gedenkstättenkultur verbessern müssen, sagt Cranach. Er selbst würde Passows Bild nicht abhängen. "Ich habe den Vorschlag gemacht, in Irsee eine kleine Tagung mit Experten und
Beate Passow zu veranstalten und darüber zu diskutieren, was man tun kann." Vielleicht reiche ein ergänzender Kommentar zur Geschichte der Gedenkkultur.
Passow, 1945 als Tochter eines Nationalsozialisten und einer polnischen Köchin geboren, beruhigt das im Moment nicht. Dass Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert, bei dem sie sich am 14. August
brieflich nach der Zukunft ihres Werks erkundigte, bis heute nicht reagiert hat, ärgert sie schon. Erst im Vorjahr für ihre konsequente künstlerische Haltung mit dem angesehenen Gabriele-Münter-Preis
ausgezeichnet, arbeitet sie seit vielen Jahren gegen das kollektive Vergessen an. Ihre Kunst - von der Fotografie über Collage und Installation bis zur Aktion - ist immer politisch. Auch wenn sie
nicht glaubt, dass sich mit Hilfe der Kunst etwas ändert, ist sie doch von deren emotionalen Potenzial überzeugt. Und auch davon, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar ist.
sueddeutsche zeitung
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ich habe versucht, verschiedene z.t. verzerrte wiedergaben im netz einigermaßen als
gesamteindruck des triptychons von beate passow zu "rekonstruieren" ...
(Quellen hierzu: lkaelber|www.uvm.edu - beate passow, vg bildkunst bonn 2018 - vdt.ev - bearbeitung:
sinedi|art)
inzwischen habe ich im internet [click here] wohl ein authentisches erkennbares original-foto vom passow-triptychon gefunden ... (sinedi - 11.03.2019) click here zu der neuesten entwicklung
_____________________________________________ mich erinnert dieser "fall" an die auseinandersetzung um das spanische gedicht "avenidas" von dem "konkreten" dichter eugen gomringer an der fassade einer berliner hochschule, das wegen seiner angeblich sexistischen interpretierbarkeit der letzten zeile - eines "bewunderers" der straße, der blumen und frauen auf den ramblas in barcelona - nun mit einem anderen text übertüncht wird. und auch an die auseinandersetzung um die "stolpersteine" in münchen, die der rat dort auf geheiß von frau knobloch von der jüdischen gemeinde ablehnte, "weil man nicht erneut mit stiefeln auf die namen der holocaust-opfer herumtrampeln darf" ... deutschland insgesamt tut sich schwer mit einer angemessenen gedenk- und erinnerungskultur - jetzt 80 jahre nach den damaligen geschehnissen. und "nazi-deutschland", das waren nicht irgendwelche monster von einem anderen stern, das war auch kein "vogelschiss" in der "langen" geschichte der deutschen (das zusammenhängende "deutsche reich" wurde erstmals erst 1871 begründet): das waren unsere vorfahren und verwandten, opa und oma und (groß)onkel und (groß)tante - das waren nicht etwa irgendwelche fremden migranten von anderswoher, das waren nachbarn und biedere bürger von nebenan... doch meines erachtens versucht man jetzt mit "angemesseneren zeitgemäßeren formen des gedenkens" auch immer mehr die tatsächlichen taten und geschehnisse und übergriffe und morde auszublenden und ebenfalls nach und nach zu übertünchen - und ich werde dabei den verdacht nicht los, dass das auch geschieht unter der allgemeinen prämisse: "nun muss es doch auch endlich mal gut sein" ... die beiden frauen, die die kinder oder das kind auf den triptychon-abbildungen hochzerren waren ja höchstwahrscheinlich seinerzeit ganz einfache k r a n k e n - s c h w e s t e r n - vielleicht sogar ordensschwestern, die das auf anweisung eines arztes und in ihrer verantwortung vor gott taten ... während also der afd-höcke herumschwadroniert, das berliner holocaust-mahnmal sei "ein denkmal der schande" und er "eine erinnerungspolitische wende um 180 Grad" einfordert, meint sein parteivorsitzender gauland, die nazi-diktatur sei lediglich ein "vogelschiss" in der geschichte deutschlands gewesen. und genau in diesen verleugnungs-prozess platzt nun die idee zur umgestaltung der erinnerungskultur in kaufbeuren-irsee mit umgestaltung oder gar dem verzicht des triptychons von beate passow. 20 jahre hat dieses triptychon die besucher dort - zugegebenermaßen recht eindrücklich - zum nachdenken gebracht und die unvorstellbaren grausamkeiten dort in erinnerung gerufen und plastisch vor augen geführt, und nun werden plötzlich argumente gefunden aus dem "political-correctness"-katalog, dass aus ethisch-ästhetischen überlegungen heraus "täterbilder von 'euthanasie'-opfern" nicht gezeigt werden sollten - und dass nach artikel 5 der UN-behindertenrechtskonvention behinderte menschen nicht in derart diskriminierender Weise abgebildet werden sollten. aber hier werden ja nicht behinderte menschen zur schau gestellt - sondern es werden doch quasi wie in einer anwaltsakte tatsachen der grausamen nazi-menschenverachtung per tatortfotos mit-geteilt und "bewiesen" - besonders auch der nachwelt, die davon vielleicht vor lauter scham und verleugnung und verdrängung in den familien vielleicht noch nie davon gehört hat - und sich kaum ausmalen kann, was da in nächster nachbarschaft oder gar in der eigenen familie abgegangen ist. und da manche videospiele bedeutend brutalere abbildungen mit aktiven handlungsanweisungen zeigen und kombinieren, kann man auch nicht davon sprechen, diese drei triptychon-bilder seien unerträglich. natürlich sollten die besucher dort schon eine gewisse persönliche reife erlangt haben. gerade in der christlichen ikonographie wird das triptychon ja in vielen altarbildern verwandt - und oft mit der abbildung eines kruzifix mit dem elend ermordeten und verendeten jesus - ein abbild hier als mahnung, meditation und gebet. niemand würde auf die idee kommen, dass diese darstellungen nach irgendeiner menschenrechtskonvention nicht mehr gezeigt werden könnten - und als "täterbild" käme bei einem christlichen kruzifix ja "der mensch", "die menschheit" in frage - wie auch bei der "euthanasie": "täter" waren nicht irgendwelche einzel-mörder, sondern bei diesen industriell durchorganierten tötungsaktionen gab es immer viele täter und mit-täter: oft angefangen bei den denunzianten in familie oder nachbarschaft, über zwangseinweisungen durch die polizei und die braunen nsv-ortsfürsorgerinnen, über die "rassenkundlich forschende" ärzteschaft, über die transporteure der reichsbahn und der "gekrat"-busse, bis hin zu den "pflegerinnen und pflegern", die die tödliche spritze auf anordnung setzten oder das gift verabreichten, oder die helfer an den verbrennungsöfen und vor den gaswagen und gaskammern. bei diesen ca. 300.000 "euthanasie"-mordopfern - neben den 6.000.000 holocaust-opfern - summiert sich da eine unvorstellbar große anzahl von menschen, die mitbeteiligt war: sie alle lebten und leben mitten unter uns - zumeist nicht einmal belangt oder gar angeklagt. das alles waren menschen mitten aus dem "volk" - verblendete und ideologisierte menschen - aber menschen wie du und ich ... und auch diese drei passow-siebdruck-bilder rütteln in erster linie auf - und brennen sich vielleicht auch ein - aber ich z.b. bin durch einen besuch mit meiner konfirmandengruppe in einem heim für schwerstbehinderte kinder in bethel damals auf die idee gekommen, dort einmal meinen zivildienst abzuleisten und habe diese arbeit dann zu meinem beruf gemacht - zu meiner "berufung" gewählt - weil die wahrnehmung der menschen dort meine zuneigung und meinen schutzinstinkt und meine fürsorge geweckt haben - und meine prämisse war es immer, diese mitmenschen nicht mehr auszugrenzen, sondern mit hineinzunehmen. man darf vor lauter "political correctness" die tatsächlichen geschehnisse von damals nicht heutzutage andauernd versuchen zu relativieren ... - gerade nicht zu einer zeit, beim dem nationalistisch-populistische bewegungen neu befeuert werden und sich gegenseitig hochkochen ... es kann bei einer "zeitgenmäßeren erinnerungskultur" nicht "nur noch" darum gehen, das damalige mordgeschehen etwa durch symbole geradezu pseudoreligiös zu ritualisieren: beispielsweise etwa in einem nacht-"event" in einer "gedenk-gruppe" still vor flackernden kerzen zu sitzen, im andenken an die opferschicksale, die man aber tatsächlich als opferbiografien inhaltlich gar nicht zur kenntnis nehmen konnte - und auch gar nicht ("vor lauter unzumutbarem grauen") nachzuvollziehen gewillt ist - das entfacht eher einen "sportlichen durchhaltegeist" ("ich habe durchgehalten" - "ich bin dabeigewesen" - "ich habe mir die urkunde dafür gut abgeheftet") als ein historisch profundes "erfahren" mit der inhaltlichen skizzierung des damaligen geschichtlich-gesellschaftlich-"erbwissenschaftlichen" kontextes zum tatsächlichen letztendlichen massenhaften mordgeschehen... |
dieser neue film von florian henckel von donnersmarck hangelt sich entfernt an der biografie vom deutschen ausnahmekünstler gerhard richter entlang: besonders hervorstechend bei diesem 3-std. epos ist die tatsächliche verstrickung des nazi-"euthanasie"-schicksals einer tante gerhard richters mit einem onkel, der gleichzeitig ns-"euthanasie"-arzt in dresden war - und der die todesurteile auf den fragebogen zum leistungsvermögen der infragekommenden klientel mit anzukreuzen hatte: opfer und täter also in einer familie ...
der film läuft am 03. oktober 2018 in den deutschen kinos an und ist der deutsche beitrag für die oscar-verleihung im frühjahr 2019.
click here & on the picture für einen zdf "aspekte"-beitrag dazu!
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