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Seit 1986 recherchiere ich
das NS-"Euthanasie"-Leidensporträt meiner Tante Erna
Kronshage (*1922), die zunächst nach ihrer (Selbst-)Einweisung mit der fraglichen Diagnose "Schizophrenie" nach Ein- und Widersprüchen dann zwangssterilisiert werden musste nach
erbobergerichtlichem Beschluss in zweiter Instanz, dann deportiert wurde, und schließlich am 20.02.1944 in der Nazi-"Euthanasie"-Vernichtungsanstalt "Tiegenhof"/Gnesen (polnisch: Dziekanka/Gniezno -
heute Polen) ermordet wurde.
Mein "Ansporn" vor 35 Jahren zu Beginn meiner Archiv- und Literaturforschungen und Aufarbeitungen war
sicherlich getragen von den Leitsätzen und dem Wollen der "68er"-Generation insgesamt, die diese Vorkommnisse in der Nazi-Zeit nicht mehr mit dem Mantel des Verschweigens zudecken wollte (Autoren:
Ernst Klee, Götz Aly, Michael Wunder, Heinz Faulstich u.a.) - die die personale Mittäterschaft der Elterngeneration nicht länger infrage stellte.
Ich fand eine allmählich einsetzende - "formal-statistische" - "Sediment-Ablagerung" dieser rund 300.000
"Euthanasie"-Opfer vor - und dieses allgemeine - auch politisch-historisch und institutionelle Ablagern und Totschweigen all dieser Einzelopfer, für die sich zunächst kaum eine "Gedenk- und
Erinnerungslobby" stark machte.
In diesen Zusammenhang passt ein nachdenkenswertes Zitat, das sowohl Stalin, Tucholsky aber auch Remarque
zugeschrieben wird:
"Der Tod einer Person
ist eine Tragödie,
aber der Tod von 300.000
ist eine Statistik."
Also aus diesem statistisch zahlenmäßig abgehakten Ablagerungs- und Verdrängungs-Sediment will ich mit der
Rekonstruktion und Nacherzählung des Leidensporträts meiner Tante Erna Kronshage eben e i n e n winzigkleinen Krumen herauspuhlen und ihm nachgehen - beispielhaft für die anderen 299.999
- von denen vielleicht bis heute insgesamt 400 - 500 Einzelbiografien bekannt und publiziert sind - also gut ein Promille.
Ich sehe mich mehr als themenbezogene Begleitperson und als Lotse in Wort und Bild für einen gemeinsamen "Trip" in die Welt Erna Kronshages,
vor allem natürlich der 484 Tage von ihrer Einweisung in die Provinzialheilanstalt Gütersloh bis zu ihrem gewaltsamen Tod - mit dessen ungeheuerlichen und auch zufälligen Begleitumständen - sowie all
den aktiven und passiven Akteuren, die daran letztendlich mitgewirkt haben und beteiligt waren ...
Es geht bei der Aufarbeitung all dieser Leidensporträts nicht um die unbotmäßige "Kultivierung eines
deutschen Schuldkomplexes" (wie die Afd das inzwischen bezeichnet) - sondern immer noch um die notwendigen Freilegungen längst verdrängter Mordtaten an nicht stromlinienförmig zu integrierenden
Menschen mitten aus Familie, Verwandtschaft oder Nachbarschaft, die man als "unnütze Esser" ablehnte und vernichtete, weil deren Leistungsfähigkeit nicht den Normen einer selbsternannten
politisch-ideologisch extrem verqueren "Elite" entsprachen.
Und deshalb möchte ich auch den mir nachfolgenden Generationen zumindest virtuell den kurzen Lebensweg Erna
Kronshages näherbringen als exemplarisches Beispiel dafür, mit wieviel (Mit-)Täterschaft und Verstrickungen letztlich so ein Mord vorsätzlich und doch auch hinter vorgehaltener Hand ganz stickum
verübt wurde - nicht von einem Einzeltäter oder irgendwelchen Monstern, sondern kleinteilig fragmentiert - step by step - von einem verirrten Regime mit all seinen tumben Mitläufern, von Menschen wie
du und ich: von Verwandten, Nachbarn, Beamten, Ärzten, NSV- und Ordensschwestern und Diakonissen, und dem Pflegepersonal in den Anstalten und Vernichtungskliniken unter Mitwirkung von Busfahrern,
Lokomotivführern usw. - und all die Mitläufer und Gaffer, die es damals auch schon gab.
Und erschreckend beispielhaft zeigt diese Ermordung meiner Tante, wie rasch sich das alles - unter ganz
anderen Prämissen - wiederholen kann, wenn "Verantwortung" und "Moral" und "Ehrfurcht vor dem Leben" geteilt, zergliedert und fragmentiert wird.
Also sehe - höre - lese - und fühle - um das nachzuvollziehen
und erzähle es weiter ... -
damit aus diesen Nacherzählungen
Deine Nacherzählungen werden können...
Sicherlich gibt es dabei neuere Pack-Enden anzufassen, aber wir dürfen all diese Opferschaft nicht einfach
zum Sediment herbsinken und versteinern lassen - sondern in fruchtbaren lebendigen Humus umwandeln ...
Da werden dann die unschuldigen Opfer oft im Nachhinein immer noch als ein sorgsam gehütetes
"Familiengeheimnis" konsequent abgeschottet, eingeschweißt, abgelegt, abgeheftet und möglichst stickum vertuscht und verleugnet - wodurch jedoch diesen Opfern immer noch keine angemessene Würde und
Pietät zugestanden wird ...
Die betroffenen Familien schweigen sich in der Regel aus, spalten ab, verdrängen und vergessen - oder wissen
einfach inzwischen von nichts mehr ...
Ein weiteres - vielleicht verwandtes - Phänomen greift immer mehr Platz: Ein Phänomen, das die Psychoanalyse
"Transgenerationale Weitergabe" von unverarbeiteten oder ungenügend verarbeiteten Kriegserlebnissen nennt.
Auch die Kinder und die Enkel und Urenkel - also ganz biblisch ausgedrückt: "bis ins 3. und 4. Glied" -
"leiden" oft genug noch unbewusst an den oft furchtbaren Traumata-Erlebnissen, die der Bombenkrieg, die Vertreibung, der Nazi-Holocaust oder eben auch die von Nazis und der NS-Psychiatrie zu
verantwortende Vernichtung "unwerten Lebens" mit all ihren Gräueltaten mit sich bringen ... Oft sind das Nuancen, ein unbewusstes Schaudern oder eine Unfähigkeit - Ängste, die bei besonderen
Situationen plötzlich "wie aus dem Nichts" kommen, eigenartige Traumsequenzen usw. -
"Das Vergessen der Vernichtung
ist Teil
der Vernichtung selbst"
so hat es Harald Welzer in Anlehnung an Jean Baudrillard allerdings erst in unseren Tagen formuliert: Das
Vergessen des Grauens ist also von den NS-Tätern, vom damaligen faschistischen System, implizit mitgedacht und haargenau mit geplant und einkalkuliert worden - war quasi Sinn der
Vernichtungsaktionen: Vollständige und totale "Ausmerze" und konsequentes restloses "Niederführen" - diese faschistischen Unworte schließen ja eine endgültige "Tilgung" mit ein...
Vergangenes ist ja niemals tatsächlich Aus, Schluss und Vorbei: die Biografie der inzwischen 90-jährigen
Schauspielerin Lieselotte Pulver heißt deshalb auch richtigerweise: "Was vergeht ist nicht verloren"... - sicherlich mit einem positiver gemeinten Ansinnen: Vergangenes bleibt und es
ist - immer wenn wir es aufsuchen und damit kultivieren und integrieren in unser kollektives Bewusstsein...
Dem gewaltsamen Ableben meiner Tante Erna Kronshage im Februar 1944 werde ich Stück für Stück weiter
nachspüren, soweit mir das je "bis zur Wahrheit" gelingen wird - noch "blinde Flecken" werde ich zeit- und forschungsgemäß aktualisieren... Und ich werde mich empören über das von
ihr erlittene Unrecht.
Die Nacherzählung - und ihre Tücken
ganz zufällig fand ich in der google-suche einen hinweis auf dieses neu
erschienene e-book von bernd mollenhauer: "die peitsche", wo er auf den abschnitten/seiten 339 - 341 dankenswerter weise auch von meiner tante erna kronshage berichtet.
aber - anders als andere autoren, die textpassagen oder anregungen von "erna's
story" verwenden und veröffentlichen, hatte sich bernd mollenhauer nicht mit mir in irgendeiner weise zur abfassung seines textes in verbindung gesetzt.
und heraus kommt dann dabei folgende "erna-version", die ich hier mal ungekürzt
wiedergeben möchte:
mollenhauer hat sich wohl nicht meiner
original-texte bedient, die ja leicht im internet unter dem stichwort "erna kronshage" zu finden wären, sondern er gibt als seine quellen in der fußnote 248 die definition der begriffe "t4" und "euthanasie" bzw. die deutsche ns-mordanstalt "tiegenhof" (heute dziekanka) bei gniezno
in polen an, wo erna ermordet wurde.
okay - im großen und ganzen hat mollenhauer das
martyrium meiner tante in seiner tragik sicherlich erfasst und textlich zusammengefasst.
doch wurde eigentlich ohne jeden grund eine damalige 13-köpfige
landfamilie mit elf kindern mal einfach als "streng katholisch" umgetauft, weil mollenhauer wohl den hier in der ravensberger senne die der lutherischen erweckungsbewegung geschuldeten
evangelischen familien eine solche große kinderzahl nicht zumutete. die gegend hier war glaubensmäßig lutherisch-protestantisch fest verankert - und so auch familie kronshage.
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erna's vater
kronshage
mit seiner lieblingskuh |
jedoch wurde erna als letztes der elf kinder ja 1922 geboren, wo es mit den
verhütungsmethoden noch nicht so weit her war - und die kinderanzahl sich damals immer noch auch als die umfassende qualität einer "lebensversicherung" für die alten darstellte, damit sie als
senioren noch umfassende hilfe und betreuung hatten (altersheime und siechenhäuser waren noch rar) - kinderreichtum galt auch als äußerlicher "reichtum" - eben nicht als "prekaritär" konnotiert wie
heutzutage - und nur die "studierten" hatten wenige kinder...
jedoch war das alles in diesem falle eine "milchmädchen-rechnung", denn da die jungen 1939 zur wehrmacht an die
front eingezogen wurden - und die älteren schwestern bereits dem elternhaus entwachsen waren, blieb die minderjährige erna mit ihren über 40 jahre älteren und kränklichen eltern allein mit ihnen mit der last der hofbewirtschaftung
zurück.
diesen umstand hat der (also evangelische!) vater in seinen
protestbriefen zum zwangsanstaltsaufenthalt in gütersloh und zur zwangssterilisation mehrfach als grund für die entlassungsforderung seiner tochter erna vehement und mehrfach genannt (sie sind alle
im memorial blog reproduziert).und auch die von mollenhauer völlig aus der luft gegriffene unterstellte "verehrung" vater kronshages für den "führer" - sogar als "guter nationalsozialist" (und
"katholik") ist hiermit auf's schärfste zurückzuweisen. das hat sich mollenhauer einfach aus den fingern gesaugt.
vater kronshage, also mein opa und ernas und meiner mutter vater,
ließ seine eingaben und proteste gegen die behandlung, die zwangssterilisation und die internierung in der anstalt gütersloh wohl vom nachbarn, einem von der nsdap suspendierten
spd-gemeindemitarbeiter formulieren und heimlich mit der schreibmaschine tippen, denn solche abfassungen und eine solche schreibhilfe, wie sie im memorial-blog abgebildet sind, war im kotten der
kronshages nicht vorhanden und es gab auch keine mittel, um gar einen rechtsbeistand zu bezahlen.
vater kronshage hatte bis zum 12.12.1943 - also bis zum 21. geburtstag - bis
rund 2 monate vor der ermordung ernas in dziekanka/"tiegenhof" - das volle sorgerecht und das umfasste auch das aufenthaltsbestimmungsrecht für seine tochter.
insofern war das festhalten in gütersloh besonders nach der erfolgten
sterilisation im august 1943 reine schikane und vielleicht eine retourkutsche zu den protestbriefen - und weil der landeshauptmann vom provinzialverband den anstalten die anweisung gegeben hatte, das
ehemalige "insassen" auch auf antrag nicht zu entlassen und ggf. festzuhalten seien, da diese "anbrüchigen" (sic!) personen sonst mit ihrem verhalten womöglich in den luftschutzkellern panik auslösen
könnten ...
stattdessen entledigte man sich ihrer dann mit
deportation in die mordanstalten, besonders auch im okkupierten ausland.
wer also unbeschadet das
ns-euthanasie-tötungs-protokoll in seinen nicht unwichtigen exakten verschiedenen ansprüchen genügenden varianten und nuancen studieren möchte, dem sei diese umfassende multimediale link-sammlung
empfohlen wo frau & man sich per click informieren kann:
Also lese und sehe - und
erzähle es weiter ... - damit aus diesen Nacherzählungen zwar Deine - aber "richtige" - Nacherzählungen werden können...
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inzwischen schrieb mir bernd mollenhauer folgende mail:
Sehr geehrter Herr Wieand!
Besten Dank für Ihre Mail. Ich bin immer froh und dankbar, wenn
aufmerksame Leser mich auf unrichtige Darstellungen aufmerksam machen. Und für das falsch wiedergegebene Glaubensbekenntnis der Erna Kronshage kann ich mich nur in aller Form entschuldigen. Die
Korrektur werde ich sofort in die Druckvorlage einpflegen. Bitte haben Sie aber etwas Geduld, bis die Korrektur wirksam wird. Aufgrund der technischen Vorgaben seitens der Druckerei, die auch das
E-Book hergestellt hat, kann dieser Vorgang einige Tage in Anspruch nehmen. Sollten Sie also noch weitere sachliche Mängel in Bezug auf Erna Kronshage feststellen, bitte ich darum, mir dies umgehend
mitzuteilen.
Mit den besten Grüßen
Bernd Mollenhauer
- und hier noch der Link zum dann in Kürze überarbeiteten Buch
<<< beachte das seiten-
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