GESCHICHTE(N). LEBEN. ERZÄHLEN.
gestern: heute: morgen:
auszug eines artikels vom "welt"-autor thomas schmid, in dem er
das internet als neuartige globale verortungs-, informations- und gleichwertig würdige
gedenkmöglichkeit miteinbezieht, wenn er über standort und gestaltung eines
gedenkzeichens bezüglich der gräueltaten im nachbarland polen nachdenkt, auch im hinblick auf die verheerenden zivilen völkerrechtsverbrechen gegenüber weiteren slawischen volksgruppen "im
osten"...
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Es gibt nichts,
was so unsichtbar wäre
wie Denkmäler
Zumal es heute schon gar nicht mehr ums Verherrlichen gehen kann. Nicht Personen, sondern Ereignisse sollen
mit einem Denkmal memoriert werden, gute, schöne, erstmals aber auch schreckliche. Zudem trägt jedes neue Denkmal heute die Crux, dass es längst kein Monopol auf Darstellung von Erinnernswertem mehr
hat.
Wer sich Vergangenes vergegenwärtigen will, wählt den kurzen Weg des Zugriffs aufs Allgegenwärtige: Er geht ins
Internet.
Wie es die privaten Trauerforen im Netz gibt, so könnte es dort auch Gedenkforen geben. Wozu also noch
Denkmäler? Vor knapp 100 Jahren hat Robert Musil einen Kalauer in die Welt gebracht, der schnell Verbreitung und Zustimmung fand. Er sagte: „Es gibt nichts in der Welt, was so unsichtbar wäre wie
Denkmäler.“ Wie alles, was wir immer wieder sehen, wird es bald zur Stadtkulisse, man geht achtlos und unberührt daran vorbei.
Schärfer noch hat es Claude Lanzmann in dem Motto formuliert, das er seinem großen Film „Shoah“ von 1985
voranstellte:
„Es gibt heute zwar eine große Anzahl von Museen, Denk- und Mahnmalen. Die aber dienen dem Vergessen ebenso wie der
Erinnerung. Sie verwalten die Erinnerung, die zur toten Materie wird.“
Das ist eine schwere Hypothek. Fast alle Denkmalformen sind verbraucht, vom sozialistischen Realismus bis zur
abstrakten Figuration. Das soll nicht heißen, Denkmäler, die ihre Funktion erfüllen, seien unmöglich geworden. Das Berliner Holocaust-Denkmal beweist das. Doch nur teilweise. Denn dessen stilistische
Strenge und Kargheit steht in deutlichem Widerspruch zur Monumentalität des Ganzen. Hier wurde offensichtlich noch einmal versucht, einen Rest der alten Herrschaftlichkeit von Denkmälern in unsere
Zeit hinüberzuretten.
Auszug aus einem Artikel zur Mahnmal-Debatte: "Was Polen angetan wurde, braucht
in Berlin einen eigenen Ort des Gedenkens" . Von Thomas Schmid . aus DIE WELT vom 27.10.2020, Seite 8 Politik